Der folgende Text stammt von Jürgen Kahl, Mitglied der freiwilligen Feuerwehr-Castrop-Rauxel (Quelle: http://www.feuerwehr-bochum.com)
Stadt Castrop-Rauxel honoriert Ehrenamt mit 150,00€ Bußgeld und 4-wöchigem Fahrverbot
Zum Hintergrund:
Seit 1983 bin ich aktiv in der Freiwilligen Feuerwehr engagiert, zuerst in Dortmund und seit
Januar 2007 bei der Freiwilligen Feuerwehr, Castrop-Rauxel, Löschzug 1,(Castrop).
Die Alarmierung der ehrenamtlichen Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr in Castrop-Rauxel
erfolgt über digitale Meldeempfänger, die die Informationen „Probealarm“, Einsatz“ und
„Einsatzende“ liefern. Aufgrund dieser spartanischen Ausstattung der ehrenamtlichen Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr durch die Stadt Castrop-Rauxel ist es nicht möglich, bei
Einsatzalarmierungen zwischen „Rettungs- bzw. Brandeinsatz“, “Wachbesetzung mit
Sondersignal“ und einer ’einfachen’ Wachbesetzung zu unterscheiden.
Am Mittwoch, 13.02.2008 um 15:57 Uhr hat es einen „Einsatzalarm“ gegeben, dem ich
unverzüglich Folge geleistet habe. Ich war zu diesem Zeitpunkt zu Hause und habe unter
Berücksichtigung der Verkehrslage (Ampelanlagen u. Verkehrsaufkommen Herner Strasse,
Altstadtring) den Weg über die Gaswerkstrasse gewählt. Da ich keine Kenntnis über die
aktuelle Lage und den Grund der Alarmierung hatte und zu der Uhrzeit viele meiner
Kameraden noch ihrer beruflichen Tätigkeit nachgingen, war für mich höchste Eile geboten. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die hauptamtlichen Kräfte und auch der Löschzug 5, Merklinde, zu einem Zimmerbrand alarmiert waren, die Hauptwache also verwaist war. Die Anwesenheit des Löschzuges 1 an der Feuerwache war demnach mehr als dringend, um mögliche weitere Einsätze rasch und effektiv abwickeln zu können. Weiterhin ist allen ehrenamtlichen Feuerwehrkräften die Thematik „Alarm- und Ausrückezeiten“ hinlänglich bekannt. Während meiner Alarmfahrt wurde ich in der Gaswerkstrasse, die mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h belegt ist, vom Radarmesswagen der Stadt Castrop-Rauxel mit einer Geschwindigkeit von 64 km/h erfasst. An der Stelle der Geschwindigkeitsmessung ist die Gaswerkstrasse sehr übersichtlich, auf der rechten Seite befinden sich einige wenige Gewerbebetriebe, auf der linken Seite ist Wohnbebauung, die von der Fahrbahn durch einen breiten Grünstreifen getrennt ist.
Als eine Woche später der Zeugenfragebogen vom Ordnungsamt der Stadt Castrop-Rauxel
eintraf, habe ich unverzüglich die Geschwindigkeitsübertretung zugegeben, da ich mich
aufgrund der den Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr zustehenden Sonderrechte nach §35 StVO sicher fühlte.
Das Ordnungsamt bedankte sich mit einem Bußgeldbescheid über 173,50 €, einem
einmonatigem Fahrverbot und dem Eintrag von 3 Punkten ins Verkehrszentralregister in
Flensburg, ohne überhaupt auf meine Hinweise bezüglich der Einsatzfahrt einzugehen.
Da ich dieses Vorgehen nicht akzeptieren konnte und wollte, habe ich von meinem Recht
Gebrauch gemacht und anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen.
Erst nach Intervention des beauftragten Rechtsanwalts äußerte sich das Ordnungsamt
dahingehend, dass:
Zitat Schreiben Bußgeldstelle der Stadt Castrop-Rauxel v. 20.05.2008:
“Sonderrechte stehen daher nicht den freiwilligen Feuerwehrangehörigen bei Fahrten mit
dem Privatfahrzeug zu.“
Der gegen den Bußgeldbescheid eingelegte Einspruch ist nach zwei Verhandlungsterminen durch ein Urteil des Amtsgericht Castrop-Rauxel abgelehnt worden.
Zitat aus dem Urteil v. 16.01.2009 – (6 Owi-210 Js 1030/08-216/08:
“Nach Ansicht des Gerichts kann sich der Betroffene nicht auf seine Sonderrechte im Sinne
des §35 StVO berufen. Danach ist unter anderem die Feuerwehr, zu der die
Feuerschutzpolizei, die freiwillige Feuerwehr sowie die freiwilligen Pflicht- und
Werkfeuerwehren gehören (vergleiche Hentschel Straßenverkehrsrecht, §35 StVO
Anmerkung 3) von den Vorschriften der Verordnung befreit, soweit es zur Erfüllung
hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist.“
Im gleichen Urteil steht geschrieben:
"Es existiert eine interne Vereinbarung zwischen der Feuerwehr der Stadt Castrop-Rauxel
und dem Ordnungsamt Castrop-Rauxel aus Januar 2001. Danach wurde seitens des
Ordnungsamtes der Stadt Castrop-Rauxel mitgeteilt, dass
Geschwindigkeitsüberschreitungen unter bestimmten Voraussetzungen eingestellt werden
können, wenn die Überschreitung nicht mehr als 20 km/h beträgt und die Überschreitung in
unmittelbaren Zusammenhang mit der Alarmierung steht. Dies solle nur dann gelten, wenn
niemand belästigt oder gefährdet wird. Einschränkend wird ergänzend ausgeführt, dass es
sich nur um Geschwindigkeitsüberschreitungen handeln solle, die durch die Stadt Castrop-
Rauxel bearbeitet werden.“
In der gleichen Angelegenheit schreibt der Vizepräsident des Landesfeuerwehrverbandes
NRW, Herr Ralf Fischer an den Bürgermeister der Stadt Castrop-Rauxel, Herrn Johannes
Beisenherz am 29.03.2009:
“Bei den Einsätzen der Feuerwehr geht es oft um Minuten, die bei Bränden oder schweren
Verkehrsunfällen über Leben und Tod entscheiden können. Bei einer Alarmierung wissen die Mitglieder der Feuerwehren oft nicht, was sie an der Einsatzstelle erwartet. Um einen
zeitnahen Einsatz zu gewährleisten, haben die Feuerwehren gem. §35 StVO im
Straßenverkehr Sonderrechte....... Leider ist Ihre Gemeinde eine der ganz wenigen in Nordrhein-Westfalen, die Feuerwehrangehörige mit Bußgeldverfahren überzieht, die auf dem Weg zu einem Einsatz von den ihnen zustehenden Rechten gebrauch machen, um schnelle Hilfe leisten zu können. Bitte bedenken Sie, dass die Feuerwehrangehörigen nicht nur ihre Freizeit für das Allgemeinwohl opfern, sondern in kritischen Einsätzen sogar ihr Leben riskieren. Es ist daher mehr als demotivierend und dem Ehrenamt abträglich, wenn die Bußgeldstelle Ihres Hauses dnn Bußgeldbescheide, mit denen sogar ein Fahrverbot verhängt wird, erlässt......Der Landesfeuerwehrverband hat daher dem Feuerwehrangehörigen Ihrer Gemeinde für die Rechtsbeschwerde beim Oberlandesgericht Rechtsschutz gewährt. Bitte machen Sie für die Zukunft Ihren politischen Einfluss geltend, um solche Verfahren in Fällen zu vermeiden, bei denen Feuerwehrangehörige im Dienst für die Gemeinde handeln und es nicht zu einer konkreten Gefährdung der Verkehrssicherheit gekommen ist.“
Mittlerweile hat das Oberlandesgericht Hamm die Beschwerde abgelehnt; ich darf also nun
für die Ausübung meines Ehrenamtes insgesamt 280,00 € an die Gerichtskasse überweisen
und einen Monat “zu Fuß“ gehen.
Es bleibt für mich nach wie vor unverständlich, warum die aktiven ehrenamtlichen Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Castrop-Rauxel über die “interne schriftliche
Ausnahmevereinbarung“ zwischen Feuerwehr und Ordnungsamt, die in dieser Form
keinesfalls gesetzeskonform ist, nicht informiert wurden. Auch vom Bürgermeister der Stadt Castrop-Rauxel, Herrn Johannes Beisenherz, erfolgte bisher keine weitere Information, obwohl er am 29.03.2009 durch das Schreiben von Herrn Fischer vom
Landesfeuerwehrverband NRW in Kenntnis gesetzt wurde.
Zum Thema “Sonderrechte nach §35 StVO für Feuerwehrangehörige im privaten Fahrzeug“ teilt das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen mit Schreiben vom 01.02.2001 mit:
Aktenzeichen: V D 4-4.046-1
„Feuerwehrangehörige, die mit ihrem privaten Fahrzeug bei Alarm zum Gerätehaus fahren, sind nach der Rechtsauffassung meines Hauses Feuerwehr im Sinne des § 35 Abs. 1 StVO und können somit die Sonderrechte des § 35 StVO in Anspruch nehmen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass diese Sonderrechte nur unter besonderer Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Anspruch genommen werden dürfen und eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sein muß. Denn für die übrigen
Verkehrsteilnehmer ist es nicht ersichtlich, dass es sich bei dem Fahrzeug des
Feuerwehrangehörigen um ein Sonderrechtsfahrzeug handelt, wie es bei Einsatz von
Blaulicht und Signalhorn der Fall wäre. Derjenige, der die Sonderrechte nach § 35 StVO in
Anspruch nimmt, haftet sowohl straf- als auch zivilrechtlich in vollem Umfang, falls er andere Verkehrsteilnehmer gefährdet oder gar schädigt und verletzt.“
Nach diesen Ausführungen des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen habe ich
mir bezüglich meiner “Alarmfahrt“ vom 13.02.2008 nicht den geringsten Vorwurf zu machen.
Ich habe noch nie auf einer Alarmfahrt irgend jemand gefährdet, geschädigt oder gar
verletzt. Es ist für mich absolut unverständlich, wie sich in der Bundesrepublik Deutschland eine kleine Stadt wie Castrop-Rauxel die Freiheit nehmen kann, Vorgaben und Beschlüsse des Innenministeriums NRW zu konterkarieren und Bürgern der Stadt, die freiwillig, ehrenamtlich und unbezahlt ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, um selbstlos ihre Mitbürger aus häufig lebensbedrohenden Lagen zu befreien, mit drakonischen Strafen überzieht, während in anderen Städten die Mitarbeiter der Ordnungsbehörden ähnliche Vorgänge zu den Akten legen.
Ich kann auch den Sinn dieser “internen“ Absprache zwischen Ordnungsamt und Feuerwehr nicht nachvollziehen, oder sollte der Bürgermeister als Verwaltungschef auf diese Art und Weise das Stadtsäckel füllen wollen? Ich mag das nicht glauben, allerdings verschließt sich mir auch der Grund, warum diejenigen, die diese Absprache am ehesten trifft, nämlich die ehrenamtlichen Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr, nicht informiert werden. Auch die Entscheidungen des Amtsgerichts Castrop-Rauxel und des Oberlandesgerichts Hamm, die das Verhalten der Stadt Castrop-Rauxel bestätigen, laufen konträr zur Beschlussfassung des Bund-Länder Fachausschusses StVO, der Auffassung des
Innenministers NRW, Herrn Ingo Wolf, und sogar zur Stellungnahme des Bundesverkehrsminister
Die Situation, hier in Castrop-Rauxel für eine Sache ein Fahrverbot zu bekommen, um die
sich möglicherweise in Paderborn, Aachen oder Stuttgart niemand geschert hätte, ist für
mich unerträglich, oder halten die betroffenen Bürger in Castrop-Rauxel bei einem
Wohnungsbrand länger durch, weil die ehrenamtlichen Kräfte sich im Alarmfall an die StVO halten müssen?
Ich wende mich heute mit diesem Schreiben an
1. den Bürgermeister der Stadt Castrop-Rauxel
für eine Antwort auf die Frage: “Warum?“
2. die politischen Parteien in der Stadt Castrop-Rauxel
3. den Landrat des Kreises Recklinghausen, Herrn Jochen Welt
4. den Innenminister des Landes NRW, Herrn Ingo Wolf,
5. die Justizministerin des Landes NRW, Frau Roswitha Müller-Piepenkötter,
mit der eindringlichen Bitte, das ausgesprochene Urteil „wie auch immer“ rückgängig
zu machen, weil es nach meiner Ansicht höchst ungerecht ist.
6. den Landesfeuerwehrverband NRW, Herrn Ralf Fischer,
7. die Wehrleitung der Freiwilligen Feuerwehr, Castrop-Rauxel,
8. die Löschzugleiter der Löschzüge 1 bis 5 mit der Bitte, alle aktiven ehrenamtlichen
Kameraden, die im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis sind, über diesen Vorgang in
Kenntnis zu setzen, damit nicht “noch mehr“ Führerscheine enteignet werden.
9. die Lokalredaktion der Ruhrnachrichten, Castrop-Rauxel und
die Lokalredaktion Stadtanzeiger, Castrop-Rauxel
damit die Öffentlichkeit darüber Kenntnis erhält, wie mit ehrenamtlichen
Feuerwehrleuten in der Stadt Castrop-Rauxel “umgesprungen“ wird.
Wenn es für mich jetzt noch Gründe gibt, meinen aktiven Dienst im Löschzug Castrop der
Freiwilligen Feuerwehr Castrop-Rauxel fortzuführen, so erwähne ich an dieser Stelle das
außerordentlich positive Verhältnis zu allen Kameraden und Kameradinnen innerhalb der
Feuerwehr und die zahlreichen Menschen, denen in schwierigen und schwersten Situationen Unterstützung und Hilfe während meiner mittlerweile 26-jährigen Dienstzeit zuteil wurde.
Jürgen Kahl
(Ich poste diesen Text weil ich denke dass viele Leute darüber bescheid wissen sollten. Ausserdem ist die Stadt Castrop-Rauxel sicher kein Einzelfall in Deutschland...gruß Crono)