Sama Schweinfurt 71/01: RTW?

  • Tut mir ja leid, dass ich wieder aus meiner Seniorenecke meckern muss. Ich gehe mal davon aus, dass kaum jemand hier einen echten MANV jemals live mitgemacht hat, erst recht nicht als RLS-Disponent. Dabei rechne ich z.B. den Linienbus-VU mit 16 Leichtverletzten oder die Lebensmittelvergiftung im Kinderhort mit 11 betroffenen Personen je nach Ausstattung des jeweiligen RD-Bereiches noch zur "Routine", die mit vorhandenen Rettungsmitteln abgedeckt werden kann und keine Alarmierung zusätzlicher Kräfte erfordert.


    Aber ein "echter" MANV? Am Planspieltisch und bei Übungen mag ja alles noch ganz flockig ablaufen und jeder Wunsch nach der Anzahl X an adäquaten Transportmitteln kann zeitnah aus der "SEG-Zauberkiste" erfüllt werden. In der Praxis sieht es ganz anders aus. Erstens ist Oma Müller Dein MANV schietegal, sie kriegt gerade dann ihren Infarkt und braucht den NAW, mit anderen Worten: Dein rettungsdienstliches Tagesgeschäft läuft unverändert weiter und kann nicht vernachlässigt werden. Zweitens kannst Du vielerorts nicht wie früher Krankentransporte zurückstellen und auf etliche KTW zurückgreifen, weil irgendein Amts-Hirnakrobat den KTW die SoSi-Anlagen abmontieren ließ und die Autos (gerade beim Verkehrschaos, das ein MANV mit sich bringt...) genauso im Stau stehen wie der PKW von Hinz und Kunz. Drittens haben die meisten SEGs eine nicht unerhebliche Vorlaufzeit, bis sie tatsächlich am Einsatzort eintreffen. Viertens klappt die Unterstützung durch benachbarte RD-Bereiche nicht immer wie gewünscht, schließlich haben diese ja auch nur eine bestimmte (meist vom gutachterlichen Optimalfall ausgehende...) Anzahl an Rettungsmitteln zur Verfügung und können sich keinen "Ausverkauf" ihres Bereiches leisten. Und fünftens, das lehrt die Praxis, gilt bei solchen Anlässen meistens auch "Murphy's Gesetz", und es kracht gleichzeitig an mehreren Ecken Deines Gebietes.


    Fazit: Du kannst bei einem echten MANV nicht wählerisch sein, sondern musst jede verfügbare Transportkapazität fast wahllos bis an ihre Belastungsgrenze ausnutzen. Im Klartext heisst das, dass Du dann auch vier Schwerverletzte in einem KTW 4 nach dem "Load and rush"-Prinzip transportieren wirst, weil Du beim MANV fast alle Erkenntnisse des Regel-Rettungsdienstes über Bord werfen musst. Sonst produzierst Du gleich den nächsten "MANV im MANV"!


    War jetzt vielleicht etwas Off Topic, aber zwischen Theorie und Praxis klaffen gerade beim Thema "MANV" riesige Lücken, auch was die aktuell notwendige Verwendung der vorhandenen Rettungsmittel angeht...

    Ein ausgeprägter Alzheimer ist der perfekte Ersatz für ein Gewissen! [pardon]
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    Wer hinter meinem Rücken über mich lästert, steht da goldrichtig um mich am Ars.. zu lecken! [spitefull]

  • nun ja, was ein echter "MANV" ist, sollte wohl in der örtlichen AAO definiert sein. Vor welche Probleme der Disponent bzw. OrgL dabei dann tatsächlich gestellt wird, steht natürlich auf einem anderen Blatt und hängt von vielen Unwägbarkeiten und äußeren Umständen (Bemessung der Regelvorhaltung, Tageszeit, Jahreszeit, Anfahrtswege, Krankenhauskapazitäten, überörtliche Hilfe, usw.) ab. Der Busunfall mit 15 Verletzten wird aber sicherlich in vielen RDBs einer "MANV-Stufe" (oder ähnlichem) zugeordnet werden. Im ländlichen Raum >ist< das eine Herausforderung. Krankenwagenfahrer´s Ausführungen sind dabei leider oftmals zutreffend.


    Jedoch bin ich schon der Auffassung, dass der Transport von Verletzten durch KTW-4 bei einer solchen Lage (~ 20 Verletzte) grundsätzlich nicht angezeigt ist. Ein solcher MANV ist schon defintionsgemäß kein Katastrophenfall - und für diesen sind die KTW-4 konzipiert.
    Um vielleicht mal von der Theorie zur Praxis zu kommen (ihr kennt sicherlich die verschiedenen Modelle von KTW-4):


    - selbst bei einem Sprinter ist das Behandeln von Verletzten auf den oberen Plätzen kaum möglich, vom einem Transit reden wir besser nicht (und ihr wisst, dass solche Büchsen noch immer im Dienst sind...)
    - die Beladung der Fahrzeuge ist teilweise unmöglich, da viele DIN-Klapptragen bei einem etwas beleibteren Patienten "die Grätsche machen" und damit nicht mehr auf den Tragetisch passen
    - die Fixierung der Patienten auf den Tragen während der Fahrt ist ein schlechter Witz, dass ist wohl mit keinem europäischen Crash-Test mehr vereinbar
    - ....


    Wohl gemerkt: wir reden hier immer noch von einem "normalen" VU mit 20 Verletzten, nicht von einem Katastrophenfall vom Ausmaß einer Naturkatastrophe oder einem terroristischen Ereignis. Nach meinem Dafürhalten ist für solche Lagen eine geeignete Vorhaltung des erweiterten Rettungsdienstes zu schaffen und dafür bieten sich Notfall-KTW wie in meinem letzten Beitrag beschrieben an. Erstaunlicherweise geht ja der Bund mit seinem Konzept der Medical Task Forces (MTF) auch in diese Richtung und verabschiedet sich vom KTW-4 als Transportfahrzeug, er scheint sich also tatsächlich nicht bewährt zu haben ...(ansonsten halte ich aber herzlich wenig von dem Konzept).


    Krankenwagenfahrer: das mit dem Defizit an Transportkapazität ist mir schon klar - aber du zeigst mir dann auch noch das Krankenhaus im ländlichen Raum, das auf einen Schlag die vier Schwerverletzten, die mit dem KTW-4 angeschüsselt kommen, versorgen kann, gell :zwinker: ansonsten bring ich den MANV halt von der Straße ins Krankenhaus...

    2 Mal editiert, zuletzt von KaMü ()

  • Zitat

    Original von KaMü...aber du zeigst mir dann auch noch das Krankenhaus im ländlichen Raum, das auf einen Schlag die vier Schwerverletzten, die mit dem KTW-4 angeschüsselt kommen, versorgen kann, gell :zwinker: ansonsten bring ich den MANV halt von der Straße ins Krankenhaus...


    Darauf kann ich Dir praxisbelastet antworten: Ich gehe einfach mal davon aus, dass jeder halbwegs mitdenkende Disponent (auch ohne Order vom OLRD/LNA) die in Frage kommende/n Klinik/en informiert, sobald das Ausmaß des Einsatzes halbwegs abschätzbar ist. Und damit ist meiner Ansicht nach unsere Pflicht zur aktiven Mithilfe bei der klinischen Logistik auch schon erfüllt... Gewisse Probleme mit mehreren gleichzeitig oder in kurzen Abständen eintreffenden Patienten werden viele Kliniken haben, darin dürften sich Stadt und Land kaum voneinander unterscheiden. Aber gerade im ländlichen Bereich wirst Du nicht so viele alternative Kliniken haben wie in der Stadt, insofern müssten die ländlichen Häuser doch erst recht für den "Fall X" gerüstet sein... Ansonsten stimme ich Dir theoretisch zu!

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  • Zitat

    Original von KaMü
    nun ja, was ein echter "MANV" ist, sollte wohl in der örtlichen AAO definiert sein.


    Schön, wo sowas vorhanden ist ...


    Wenn ich da an einen recht großen Kreis (flächenmäßig) in Norddeutschland denke, der tagsüber ganze 5 RTW und 2 NEF vorhält, dann dürfte der MANV dort bereits vorhanden sein, wenn zu einem Einsatz 3 RTW geschickt werden müssen ...


    Die Einsatzzeiten von SEG, RD-Unterstützungseinheiten oder sonstigen ehrenamtlichen Einheiten ist gerade tagsüber nicht immer einfach ... zum einen arbeiten diese ja auch normalerweise (und nicht jede Firma ist kulant, was das spontane verlassen des Arbeitsplatz angeht) und sehr oft hast Du dann auch noch die Doppelfunktion hauptamtlicher Rettungsdienstler und ehrenamtlicher Helfer ...


    Ein echter MANV mag in den Großstädten und den direkt angrenzenden Bereichen abzuarbeiten sein, aber sobald das ganze etwas ländlicher und damit weitläufiger wird, sehe ich schwarz ...


    Anfahrtzeiten in das Einsatzgebiet des benachbarten RTW können unter regulären Umständen ja schon mal weit mehr als 15 Minuten dauern ... wie soll das dann noch zeitnah in den übernächsten Bereich klappen?


    @ KaMü:


    Meines Wissen nach wird der Bereich des KatS mittlerweile auf länderebene organisiert ... und zumindest in SH werden gar keine RTW dafür beschafft ...


    Vieles, was Du schreibst, ist richtig und auch lehrbuchmäßig ... aber, auch oft in den wenigsten RD-Bereichen auch so umsetzbar. LEIDER


    Aber der Rettungsdienst und alles was da dranhängt wird ja eh leider sehr stiefmütterlich behandelt.


    Viele Grüße
    Tobias

  • Wenn mich nicht alles täuscht, werden SEG´n zur Ergänzung des regulären Rettungsdienstes vorgehalten. Diese werden nach dem noch bestehenden Konzept der Einsatzeinheiten aus diesen gebildet. Als Rettungsmittel kommen Fahrzeuge des erweiterten Kats. zum Einsatz.
    Glücklich der Kreis, die Stadt, welche auf zusätzliche Einheiten zurück greifen kann. Sei es auf finanziell gut situierte HiOrg mit extra SEG oder auf dienstfreie Kräfte und Reservefahrzeuge.
    Fakt ist: Reichen die Kräfte des eigenen Rettungsdienstbereiches nicht aus, um eine Schadenslage zu bewältigen, spricht man, definitionsgemäß, von einer Katastrophe. Die Schwelle liegt also eigentlich sehr niedrig, wird aber im täglichen Geschäft (was auch Sinn hat) sehr großzügig ausgelegt. Soviel zum Thema MANV oder Katastrophe.
    Was die Versorgung in einem KTW 4 angeht, gehe ich davon aus, dass die Transportfähigkeit bereits hergestellt wurde und ich die Pat. auf der Fahrt lediglich zu Überwachen habe. Das ist sogar in einem Transit aus den 80igern möglich. Pat. der Sichtungskategorien I und IV mal aussen vorgelassen.

    "Eine Fehlentscheidung auf Anhieb spart immerhin Zeit."
    Helmar Nahr, Mathematiker u. Wirtschaftswissenschaftler

  • Naja, ganz so unbürokratisch entsteht hierzulande keine Katastrophe... Immerhin bedarf es dazu des Hauptverwaltungsbeamten (HVB), in aller Regel in Gestalt des Landrats oder Oberbürgermeisters. Der muss die Katastrophe (nachdem ihn ein Praktiker angeschubst und "mach mal!" gesagt hat...) feststellen und hochoffiziell ausrufen. Vorher dürfte sich formell kein Rad des KatS drehen. Dieser gesetzlich klar definierte Verwaltungsakt ist besonders für spätere Kostenerstattungen wichtig! Den "normalen" MANV stelle ich auch schon mal ganz unspektakulär als einfacher RLS-Disponent fest und spule mein Programm entsprechend ab...

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  • Zitat

    Original von Krankenwagenfahrer
    Naja, ganz so unbürokratisch entsteht hierzulande keine Katastrophe... Immerhin bedarf es dazu des Hauptverwaltungsbeamten (HVB), in aller Regel in Gestalt des Landrats oder Oberbürgermeisters.


    danke, genau so ist es!
    Und wenn ich richtig informiert bin, dann gab es diesen Katastrophenfall in den letzten zehn Jahren nicht allzu oft. In der ursprünglichen Theorie (!) des KatS würden die entsprechenden Einheiten und Einsatzmittel eigentlich auch erst dann zum Einsatz kommen...


    chefretter:


    die Einsatzeinheit als solche existiert nicht in allen Bundesländern, insoweit ergeben sich hier bereits schon heute einige (z.T. erhebliche) strukturelle Unterschiede im Hinblick auf die Bildung einer SEG (Bsp. Hessen, M-V).
    Was den KTW-4 anbelangt: lass´ das mal keinen Planer in einer entsprechenden Behörde hören, sonst bekommen wir statt zeitgemäßen Fahrzeugen vielleicht noch die Neuauflage eines KTW-4 auf Basis des Fiat Doblo :zwinker:
    mal im Ernst: unabhängig von der "Transportfähigkeit" (wie auch immer die definiert wird) sollte man in der Lage sein >während< des Transportes auf, sagen wir mal ganz allgemein, "Veränderungen des (Bewusstseins-)Zustands" reagieren zu können - und das ohne anzuhalten um die oberen Patienten ausladen und versorgen zu können...

  • @ Krankenwagenfahrer: Sag ich ja, Katastrophe ist, wenn es der HVB sagt. Theoretisch müsste er es nur viel häufiger tun. Gut, dass es nicht so ist. Man stelle sich vor, nur weil ein RTW des Nachbarkreises zum NFI fährt, wäre schon Malheur....
    Was die Räder angeht, wurden die EE doch deswegen geschaffen. Ziel war es, sie möglichst zeitnah, auch unterhalb der Katastrophenschwelle einsetzten zu können.
    @ KaMü: Klar ist ´ne Kat.-Schutz Transe kein RTW und auch ich würde mir ein zeitgemäßes Fahrzeug wünschen. Bevor ich jedoch, hier im Harze, für 10 Pat. einen BHP aufbaue und über zwei Stunden betreiben muss, weil die RTW so lange Fahrzeiten haben (KH und zurück), schaffe ich lieber vier auf einen Streich in die Klinik. Eben in der Lage leben!


    Wäre eigentlich ein eigenständiges Thema, oder?

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    Einmal editiert, zuletzt von chefretter ()

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