Zitat
Original von Krankenwagenfahrer
...wobei die im Rettungsmagazin von RA Spengler vertretene Rechtsauffassung meiner Meinung nach stellenweise etwas abenteuerlich ist und sicherlich nicht von allen Betroffenen geteilt wird. Vor allem der Vergleich mit dem Taxi fahrenden Betriebswirt ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen, oder hat dieser Mensch etwa neben seiner Beförderungspflicht eine Garantenstellung und weitreichende Hilfspflicht, die mit der eines approbierten Arztes vergleichbar wäre? Wohl kaum!
Wobei Deine Rechhtsauffassung zum Thema Garantenpflicht ebenfalls abenteuerlich ist... Es handelt sich dabei um einen Begriff aus dem Strafrecht der im Zusammenhang mit dem Unterlassen von Hilfsmaßnahmen relevant werden kann.
Hartnäckig halten sich zwei Mßverständnisse im Bezug auf dieses Konzept: Die Leute glauben, man habe automatisch eine Garantenstellung, weil man eine bestimmte Ausbildung genossen hat oder gar approbierter Arzt ist, und die Leute glauben dass "Garantenstellung" so etwas wie "Erfolgsgarantie" sei, eine Pflicht alles Erlernte kunstfehlerfrei so anzuwenden dass es auch funktioniert.
Das sind beides Legenden und werden durch ständige Wiederholung nicht richtig. Das Ganze soll kurz erläutert werden, allerdings muss ich dazu etwas ausholen; ich erhebe hier aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Also, im Einzelnen:
Zum Thema "Garantenstellung" sind auch im Zusammenhang mit dem Sanitäts- und Rettungsdienst schon ganze Bibliotheken geschrieben worden, wobei als allgemeingültiges Ergebnis der ganzen Debatte lediglich eins feststeht: Man weiß, dass man nichts weiß. Es ist in diesem Zusammenhang schlichtweg nicht möglich, allgemeingültig, mit hundertprozentiger Sicherheit und dann noch in unter 200 Seiten zu definieren, wer wann wie welche Garantenstellung hat.
(1) Garantenstellung ergibt sich nicht aus Qualifikation
Festzuhalten ist aber: Eine Garantenstellung ergibt sich weder aus der bloßen Tatsache, dass man eine medizinische Ausbildung hat, noch aus der Tatsache, dass man Mitglied einer HiOrg o.ä. ist.
Der Begriff der "Garantenstellung" ist gesetzlich nirgends definiert. Das Gesetz benutzt ihn noch nicht einmal. Es handelt sich um eine "Erfindung" der Strafrechtswissenschaft, die damit ein Tatbestandsmerkmal des § 13 StGB begrifflich umschreibt. Diese Vorschrift regelt das "Unterlassungsdelikt". Jeder hier hat bestimmt schon von "Körperverletzung durch Unterlassen" o.ä. gehört. Ein solcher Tatbestand steht aber nicht direkt im Strafgesetz. In § 223 StGB ist zunächst einmal nur von der Körperverletzung die Rede, gemeint ist dabei das Begehen der Tat durch aktives Tun (Beispiel: Der A schlägt dem B ins Gesicht). Gleiches gilt für die meisten anderen Tatbestände: Auch einen Totschlag, Diebstahl, Betrug, etc. begeht man grundsätzlich nur indem man eine bestimmte Tathandlung aktiv ausführt.
Eine Tatbegehung durch Nichtstun (Unterlassen) ist, so bestimmt es § 13 StGB, auch möglich, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Eine Voraussetzung ist, dass der Täter (der Nichtstuer) "rechtlich dafür einzustehen hat", dass ein bestimmter sogenannter "Taterfolg" nicht eintritt. Bei einer Körperverletzung wäre der Taterfolg "Ein Mensch ist verletzt", beim Totschlag "Ein Mensch ist tot", etc. Aber wann hat man denn nun rechtlich dafür einzustehen dass... etc.? Immer dann, wenn man eine besondere rechtliche Verbindung zu dem Opfer hat. Diese Verbindung, und damit schließt sich der Kreis, wird in der Strafrechtswissenschaft "Garantenstellung" genannt.
Eine Garantenstellung ergibt sich zB aus enger familiärere Verbundenheit (Eltern/Kinder) oder aus sogenannter "tatsächlicher Gewährübernahme". Wann genau eine solche vorliegt, kommt auf die Umstände des Einzelfalls an und kann nicht abstrakt beantwortet werden. Das Lehrbuchbeispiel für die tatsächliche Gewährübernahme ist der erkennbar dienstbereite Rettungsschwimmer am Badestrand, der einzig und allein dafür da ist, auf die Badegäste aufzupassen, oder aber der Bergführer, der eine Gruppe Touristen auf einen Gipfel führt und auf dessen Ortskenntnis und alpinistisches Know-How sich die Gruppe verlässt. Eine Gewährübernahme dürfte auch vorliegen, wenn ein uniformierter-HiOrg-Mitarbeiter (auch ehrenamtlich) bei einem Notfall im öffentlichen Raum Hilfe leistet. Dann darf er seine Hilfeleistung nicht grundlos abbrechen.
Eine Garantenstellung ergibt sich dagegen NICHT aus der Tatsache, dass man eine bestimmte Ausbildung genossen hat oder bestimmte Fähigkeiten besitzt. Der Angehöriger einer FF ist nicht wegen einer Garantenstellung verpflichtet, im Kaufhaus zum Feuerlöscher zu greifen, wenn dort ein Papierkorb brennt, und der Chirurg ist nicht wegen einer Garantenstellung verpflichtet, bei einem Verkehrsunfall eine blutende Aorta abzuklemmen, nur weil er es kann. Bei Untätigkeit droht beiden höchstens eine Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung - das hat aber mit einer Garantenstellung im Rechtssinne nichts zu tun.
Abschließend ein Beispielsfall:
Vater V und Tochter T gehen baden. Am Strand sind außerdem anwesend der Arzt A, der als Ersthelfer ausgebildete Nichtschwimmer N und - auf seinem Hochsitz - der diensthabende, uniformierte DLRG-Rettungsschwimmer R.
T geht ins Wasser, bekommt einen Krampf und droht zu ertrinken. Sie ruft um Hilfe, alle hören es aber keiner der anderen hilft. Nur N ruft über Handy die Feuerwehr. T ertrinkt.
V -> strafbar wegen Totschlags durch Unterlassen. Er ist Garant aus familiärer Verbundenheit.
R -> strafbar wegen Totschlags durch Unterlassen. Er ist Garant aus Gewährübernahme (alle verlassen sich darauf dass ein erkennbar diensthabender Rettungsschwimmer jeden Ertrinkenden rettet bzw. dies wenigstens versucht).
N -> nicht strafbar. Er hat geholfen so gut er als Nichtschwimmer konnte (Notruf), und er ist nicht Garant.
A -> nicht strafbar. Notruf absetzen war nicht erforderlich, das tat schon N, und A ist nicht Garant.
(2) Garantenstellung ist keine "Erfolgsgarantie"
"Garantenstellung" bedeutet NUR, dass sich der Garant (bei Vorliegen aller anderen Tatbestandsmerkmale) einer schwereren Straftat schuldig macht als der Nichtgarant, wenn er bei Notfällen UNTÄTIG BLEIBT. Der Garant wird dann aus dem Unterlassungsdelikt bestraft (Höchststrafe wie beim aktiven Delikt, zB bis zu 5 Jahre bei einfacher Körperverletzung), der Nichtgarant allerhöchstens wegen Unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB (Höchststrafe 1 Jahr).
Garantenstellung heißt NICHT, dass der Garant bei allen von ihm ergriffenen Hilfsmaßnahmen dafür einstehen muss, dass diese "garantiert" erfolgreich sind, o.ä. Deswegen wäre es letzten Endes auch nicht schlimm wenn der Ersthelfer eine Garantenstellung hätte: Untätig bleiben wird er angesichts eines Notfalles sowieso nicht, und sei es nur dass er den Notruf absetzt.