ZitatIch habe heute in den Nürnberger Nachrichten einen sehr interessanten Artikel gelesen, den ich euch nicht vorenthalten möchte. Leider hat die Redaktion den Artikel (noch?) nicht auf die NN-Online-Seite gestellt, deshalb habe ich ihn mal abgetippt...
Beleidigungen und Schläge für die Helfer
Rettungssanitäter, Notärzte, Feuerwehrleute und Polizeibeamte werde zunehmend Opfer von Aggressionen
Sie kommen, um Verletzte und „Alkoholleichen“ zu versorgen oder um Schlägereien zu beenden. Und sie werden selbst immer öfter Opfer von Aggressionen bis hin zu Attacken mit Stichwaffen: Polizisten, Feuerwehrleute oder Rettungssanitäter und sogar Notärzte im Einsatz. Um dem entgegenzuwirken, hat der Bundestag die Strafandrohung für Gewaltakte gegen „Vollstreckungsbeamte“ und auch gegen befugte Rettungskräfte verschärft.
NÜRNBERG – Es wird schlimmer, seit etwa zwei Jahren, sagt Brigitte Lischka. Die Geschäftsführerin des BRK in Nürnberg musste allein in den letzten sechs Monaten 40 gravierende Übergriffe gegen Rettungssanitäter oder Notärzte in ihrem Bereich registrieren. „Fußtritte, Faustschläge, Angriffe mit einem Messer, mit Hiebwaffen, mit Scheren und auch Beiß-Attacken“, alles war dabei, so Lischka gegenüber unserer Zeitung.
Beleidigungen und Pöbeleien sind da noch gar nicht erfasst. Oder auch Sachbeschädigungen an klar erkennbaren Einsatzfahrzeugen des Roten Kreuzes. Erst kürzlich etwa hat ein offenkundig alkoholisierter Angehöriger eines Patienten die Scheibe eines BRK-Autos zertrümmert. Selbst gegen geparkte Rot-Kreuz-Wagen richtet sich der blinde Zorn. Es wird Lack zerkratzt oder ein Spiegel abgebrochen – wohlgemerkt an Fahrzeugen, die als BRK-Eigentum zu erkennen und nur dafür da sind, Menschen in Not schnell helfen zu können.
„Kein Respekt mehr“
Brigitte Lischka beklagt, dass „leider manche Leute, oft alkoholisiert oder unter Drogen, so gut wie keinen Respekt mehr vor den Hilfskräften haben“. Die Angriffe könnten sich genauso gegen die Rettungssanitäter richten wie gegen den schon durch Aufdruck auf der Dienstkleidung eindeutig erkennbaren Notarzt. „Da machen gewaltbereite Zeitgenossen keinen Unterscheid.“ Besonders häufig kommen die Angriffe gegen Rettungskräfte in Discos, Kneipen, Grünanlagen oder auch in Wohnungen bei nächtlichen Einsätzen vor.
Wie reagieren die BRK-Leute? 40 Mediziner und Sanitäter haben sich inzwischen auf eigene Kosten Stichschutzwesten angeschafft. Kostenpunkt: 100 Euro pro Weste. Das Geld müssen die Leute selbst vorfinanzieren. Die Krankenkassen als Kostenträger erkennen diese Ausgaben bisher nicht als erstattungsfähig an.
Eine „Aufrüstung“ von Notärzten oder Rettungssanitätern mit Pfefferspray ist nicht vorgesehen, ebenso wenig Karatekurse oder Ähnliches. Stattdessen setzt das BRK, so Lischka, auf Deeskalation in kritischen Situationen. Die ersten Schulungen dazu sind schon gelaufen.
Für Peter Sefrin, Mediziner aus Würzburg und Sprecher der Notärzte in Bayern, haben Rettungskräfte bei ihrem ohnehin oft belastenden Dienst zunehmend unter einer bedenklichen Einstellung vieler Menschen zu leiden. „Der Rettungsdienst wird gesehen als Teil der Obrigkeit. Gegen Obrigkeit ist man ja grundsätzlich aggressiv“, sagt Sefrin. Selbst bei Verkehrsunfällen müssten Einsatzkräfte – ob Polizei oder Sanitäter – mit Attacken Unfallbeteiligter rechnen.
Nah dran am Leid anderer
Oft bleibe es bei Beleidigungen, aber auch Rempeleien und Schläge seien keine Seltenheit. Aggressiven Voyeurismus, der ganz nahm am Leid anderer dran sein will, hat Sefrin mehrfach erlebt. Es standen schon Gaffer mit dem Fuß in Sefrins Notfallkoffer. Und auf Zurechtweisungen oder sehr begründete Anweisungen der Polizei wurde auch manchmal mehr als unwillig reagiert.
Lischka und Sefrin sagen übereinstimmend, bei allen Belastungen sei der Beruf des Nothelfers immer noch „ein sehr schöner“. Aber es falle allmählich Einsatzkräften schwer, Aggressionen gegen sie selbst zu verarbeiten. Ob ein klares Zeichen des Staates mit einer verschärften Strafandrohung für Gewalt gegen Einsatzkräfte etwas bringt, wisse man nicht. Aber dieses Zeichen könne wohl auch nicht schaden.
Ganz klar für schärfere Strafen gegen Gewalttäter, die sich ausgerechnet Polizisten, Feuerwehrleute oder Rettungssanitäter als Ziele aussuchen, plädiert der Nürnberger SPD-Landtagsabgeordnete Stefan Schuster. Er war bis vor neun Jahren selbst bei der Nürnberger Feuerwehr aktiv und hat schon damals viele Aggressionen bei Einsätzen erlebt: Beleidigungen und Beschimpfungen, auch Rempeleien und tätliche Angriffe.
Dies nicht bei der Brandbekämpfung, sondern bei sonstigen Einsätzen. Etwa nachts, wenn Feuerwehrmänner im Auftrag der Polizei Türen öffnen, um bei Schlägereien oder üblen Familienkonflikten eingreifen zu können. Schuster: „Ich bin sehr wohl dafür, die Strafen für Angreifer in diesen Fällen zu erhöhen, das sehe ich anders als meine Freunde in der SPD-Bundestagsfraktion.“
Die Begründung Schusters: „Wer einen Polizisten im Dienst angreift oder einen Notarzt oder einen Feuerwehrmann, der greift faktisch den Staat an, der mit diesen Organen für die Sicherheit der Bürger sorgt und Verletzten oder Verbrechensopfern helfen muss.“ Das sei etwas anderes als „eine vielleicht auch tätliche Privatfehde unter Nachbarn oder Jugendlichen, die sich um irgendetwas handgreiflich streiten“.
Dass gerade Polizisten mehr Schutz vor Attacken im Dienst brauchen könnten, zeigt die jüngste Statistik. 17-mal pro Tag wurde 2010 irgendwo in Bayern ein Polizeibeamter verbal oder körperlich attackiert, nicht selten mit Hieb- und Stichwaffen. Jeder dritte Beamte und jede dritte Beamtin hat dies rein rechnerisch am eigenen Leib erfahren müssen.